ZZZ

1867 bis heute

Die Zünfte der jüngeren Linie entstanden, Zuzüge aus Stadt und Vorstadt führten zur aktuellen Anzahl. Die Ausstellung Zunftstadt Zürich zeigt den Weg.

Stadtzunft und Quartierzünfte

Dass für neue Zünfte ein echtes Bedürfnis bestand, ergibt sich aus der Tatsache, dass unmittelbar nach dem Schwinden jeglichen politischen Einflusses 1867 spontan eine Gesellschaft entstand, um «den gleichen Zwecken zu dienen wie die alten Zünfte». Dieser «Stadtzunft», wie sich die neue Gesellschaft nannte, folgten dann weitere Zünfte «der neuen Linie», die meisten in zwei Schüben, nämlich im Zusammenhang mit den Eingemeindungen von 1893 und 1934. Die Gründerväter der Quartierzünfte wollten sich einerseits bewusst zur Stadt bekennen, anderseits aber auch die Erinnerung an die ehemaligen Gemeinden wach halten.

 

Plakate, Postkarten, Kostümentwürfe und Alben

Vater und Sohn Boscovits als Sechseläutenzeichner

Seit vielen Jahren besteht der Sechseläutenumzug im aktuellen Stil, etwas anderes wäre für uns nahezu unvorstellbar – wenn nicht gerade eine Pandemie seine Durchführung verunmöglicht. Ein Blick zurück in die Geschichte zeigt indes, dass die Umzüge sich häufig wandelten. Im 19. und anfangs des 20. Jahrhunderts experimentierte man mit unterschiedlichen Ideen, besonders glanzvoll in Form von Themenumzügen und im Zusammenhang mit damals aktuellen Ereignissen.

Weil die Themen immer wechselten, konnte man nicht auf bestehende Formationen und Kostüme zurückgreifen, sondern musste den Festzug mit enormem Aufwand eigens für den einen Tag jedesmal neu konzipieren. Derart grosse Projekte waren nicht jedes Jahr möglich, weshalb Themenumzüge bloss alle paar Jahre und in unregelmässigen Abständen stattfanden. Das Zentralkomitee der Zünfte arbeitete dafür mit Künstlern zusammen. Künstler brauchte es, um sich dieses noch nie Dagewesene vorzustellen und es in Zeichnungen festzuhalten, die dann in die Realität umgesetzt wurden.

Ein Künstler, der länger für das Sechseläuten arbeitete und mehr Zeichnungen anfertigte als jeder andere, war Friedrich Boscovits. Wie sein Name verrät, war er kein alteingesessener Zürcher. Im Gegenteil – als er 1870 seine ersten Aufträge für das Sechseläuten erhielt, war der gebürtige Ungare eben erst via Wien und München nach Zürich gekommen. Doch mit einem Studienabschluss der Wiener Kunstakademie in der Tasche und einem Schwerpunkt auf Historienmalerei war der junge Maler genau der Richtige für die Aufgaben, die ihn bei den Zünften erwarteten. Fortan war er an praktisch allen Themenumzügen in irgendeiner Weise beteiligt, solange diese existierten, also bis zum Ersten Weltkrieg.

Boscovits liess sich in Zürich nieder, gründete mit einem Freund zusammen die Satirezeitschrift Nebelspalter und wurde Bürger der Stadt. Noch vor seiner Einbürgerung jedoch nahm ihn die Zunft zum Widder als Mitglied auf – ein Ausländer als Zünfter! Und das war sogar erst der Anfang, denn später stieg er in den Vorstand der Widder auf, war Delegierter im Zentralkomitee und wurde dort in die künstlerische Kommission gewählt.

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Regula Schmid, Nachlass Boscovits

 

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Ausstellung Zunftstadt Zürich

Von 1336 bis 1798 haben die Zünfte Zürich massgeblich geprägt. Die Geschichte Zürichs in diesem Zeitraum ist auch die Geschichte der Zünfte.

Im 2. Obergeschoss des Zunfthauses der Zunft zur Letzi an der Oberen Zäune 19 (Restaurant Turm) zeigt die Ausstellung „Zunftstadt Zürich – bewegte und bewegende Bilder“. Mit modernen audiovisuellen Mitteln wird ein Einblick in die Geschichte und das gegenwärtige Zunftwesen Zürichs gegeben.

In jedem der drei zur Verfügung stehenden Räume wird eine Geschichte erzählt.

Der Lochmann-Saal:

Die Produktion im Lochmann-Saal spielt im 16. Jahrhundert. Dargestellt wird die Geschichte der damaligen Besitzer der Liegenschaft und ihre Zeit.

Zunftmeisterstube:

Eine Fahrt auf der Limmat – im 18. Jahrhundert und heute – bildet den Rahmen für die Produktion in der Zunftmeisterstube.

Steiner-Waser Stube:

In der Steiner-Waser-Stube schliesslich wird die Geschichte des Sechseläutens dargestellt.

Im Foyer wird ein Überblick über den Zeitraum von 1336 bis heute gegeben. Auf Bildschirmen können Quellen und Hintergründe zu den drei Produktionen abgefragt werden, der Zugriff auf die Webseiten aller Zürcher Zünfte ist möglich und es werden kurze Filmbeiträge aus dem aktuellen Zunftleben gezeigt.

 

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Geschichtlicher Hintergrund Kinderumzug

Verglichen mit der Geschichte des Zunftwesens ist der Kinderumzug vergleichsweise jung: Der erste zünftige Kinderumzug oder, genauer gesagt, der erste Knabenumzug fand im Jahr 1862 statt. Organisator war der Widder-Zünfter Heinrich Cramer. Festivitäten oder Umzüge zur Feier des Frühlingsbeginns hatte es schon vorher gegeben. Die Mädchen waren erst beim zweiten Jugendumzug von 1867 dabei. Interessant war in dieser frühen Periode der Umstand, dass nicht nur die Zünfte, beziehungsweise das „Sechseläuten-Central-Comité“ als Organisatoren in Erscheinung traten sondern auch die Nachbarngesellschaft im Kratz-Quatier, der Rennwegverein oder die Quartiervereinigung Selnau. Eine der grossen Attraktionen an den damaligen Kinderumzügen war übrigens die Verbrennung des Bööggs, den man auf einem Wagen mitführte.

1896 war es dann (endlich) so weit: Das Central-Comitée übernahm den Kinderumzug in eigener Kompetenz. In dieser Pionierphase war der Kinderumzug weniger eng mit der Geschichte und Traditionen der einzelnen Zünfte verbunden, vielmehr enthielt er noch wesentliche Elemente von den damals beliebten Themenumzügen, etwa mit Figuren aus den Märchen der Brüder Grimm.

Bis ins Jahr 1920 fand der Kinderumzug weiterhin am Montagmorgen statt. Ziel war fast das gleiche wie heute: die Tonhalle, wo die Kinder nach dem Umzug eintrafen, wurden Wurst, Brot und Tee offeriert. Offensichtlich waren die Kinder damals ausgesprochen fit: Kaum verpflegt tanzten sie bis gegen Mittag. 1921 wurde der Kinderumzug auf den Sonntagnachmittag verlegt. Ein Zeitpunkt, der sich bis heute bewährt hat, haben doch namentlich die kleineren Kinder Gelegenheit, sich bis zum Zug der Zünfte am Montag, etwas auszuruhen.

In den folgenden Jahrzehnten entwickelte sich der Kinderumzug im Sinne einer Annäherung an das kulturelle Erbe der verschieden Zünfte weiter. Die Elemente der Themenumzüge konnten sich aber noch viele Jahre halten. Noch 1958 schrieb Edwin Arnet, Chronist der Neuen Zürcher Zeitung: „Auf den Fahnenwald der ehemaligen Nachbargemeinden des alten Zürich folgt der Tross des Mittelalters mit Herolden, Hofnarren und Edelleuten und dann das Heer der Schweizer Trachten. Nach der schönen Gruppe ‚Zürcher Zünfte’, in der die kleinen Zunftfahnen, die Jungen der wirklichen Fahnen flattern und das aristokratische Zürich andeuten, wird das Märchenbuch aufgeschlagen, und man sieht Trachten aus aller Welt, womit vor allem der Wilde Westen und der Ferne Osten gemeint sind.“

1962 organisierte das ZZZ den Kinderumzug als Jubiläumsumzug zum 100sten Geburtstag des ersten Knabenumzugs. Über 3500 Kinder nahmen nebst Hunderten von Musikanten und Begleitpersonen am festlichen Zug teil. In den kommenden Jahrzehnten war der Kinderumzug immer wieder eine Institution, bei der man ohne weiteres eine Erneuerung wagte. Der Kinderumzug hat sich mit seiner Offenheit für alle Kinder aus Stadt und Kanton Zürich und mit seiner Integration der ausländischen kulturellen Gruppen als fulminanter Auftakt zum Sechseläuten für die gesamte Bevölkerung etabliert. Früher wurde er nur bei schönem Wetter durchgeführt, wobei die Beflaggung der Kirche St. Peter das Zeichen für die Durchführung war. Heute findet der Umzug bei jeder Witterung statt.